Heimgekehrte Verkündigung

Im Ulmer Museum fieberte man hoffnungsvoll mit, als im Sommer dieses Jahres in London das Bietergefecht um den Erzengel Gabriel und die jungfräuliche Maria begann. Die gelungene Ersteigerung des fein in Holz getriebenen Schnitzwerks des Ulmer Meisters Daniel Mauch war ein Glücksfall für die Sammlung: Dringend wünschte man sich dort seit langem ein Spitzenwerk des Bildhauers. Umso elektrisierter waren die Ulmer Mittelalterexperten, als das gut erhaltene Relief auf dem Kunstmarkt auftauchte. Nun kann man erleichtert die Rückkehr des kostbaren Hochreliefs an seinen Entstehungsort Ulm feiern.

Ergriffen, aber gefasst sinkt Maria auf die Knie, schützend hält sie die Arme vor ihre Brust: Gerade eröffnete ihr Erzengel Gabriel das süße, jedoch unfassbare Geheimnis – bald wird sie den Sohn Gottes gebären. Ihr in sich gekehrter Blick mit gesenkten Augenlidern, das ihre Lippen umspielende Lächeln zeugen von der inneren Aufruhr, der freudigen Erwartung: Jeden Moment steht die Empfängnis durch den Heiligen Geist bevor. Haltsuchend schmiegt sie sich an das nebenstehende Betpult, ihr langes, weites Gewand ist schützend um die künftige Gottesmutter drapiert. Gabriel, als Bote Gottes zu Maria nach Nazareth gekommen, hat gerade seine unglaubliche Nachricht überbracht. Zwar büßte der Erzengel über die Jahrhunderte rechte Hand und Zepter ein, dafür haben sich großflächige Reste der originalen Farbfassung mit Spuren jüngerer Übermalungen erhalten.

Die exquisite Arbeit mit den tief ins Holz eingeschnittenen Falten, fein ausgearbeiteten Haaren sowie der markanten Gesichtsbildung kann eindeutig der Hand Daniel Mauchs zugeschrieben werden. Der Meister und seine Werkstatt reüssierten um die Wende zum 16. Jahrhundert als Spezialisten für sakrale Kunst in Ulm. Die Stadt entwickelte sich nach einem starken wirtschaftlichen Aufschwung im 14. Jahrhundert zu einem der produktivsten Kunstzentren Deutschlands. In diesem geschäftigen Umfeld erregte Daniel Mauch mit für seine Zeit originellen Altarretabeln Aufsehen, die nicht nur im Zentrum des Schreins, sondern auch auf den Seitenflügeln mit plastischen Reliefs bestückt waren. Sowohl die geringe Tiefe der Verkündigung als auch die frontal ausgerichtete Komposition deuten bei diesem Stück auf eine Einbettung in die Innenseite eines Altarflügels hin.

Nicht nur aufgrund seines handwerklichen Geschicks gehört Mauch zu den bedeutendsten plastischen Künstlern Süddeutschlands: Als einer der ersten deutschen Bildhauer setzte er in seinem Werk Formen und Motive der italienischen Renaissance um. Seine Ulmer Karriere endete jedoch mit den Umbrüchen durch die Reformation. Zwangsweise wanderte Mauch aufgrund der sinkenden Nachfrage nach religiösen Kunstwerken ins katholische Lüttich aus, wo er bis zu seinem Tod 1540 tätig war.

Das Relief befand sich vor dem Zweiten Weltkrieg in der Sammlung des Münchner Kunsthändlers Siegfried Lämmle, es war 1938 mit vielen anderen Werken von der Gestapo beschlagnahmt worden und gelangte 1941 ins Bayerische Nationalmuseum. 1950 an Lämmle restituiert, verkaufte dieser das Schnitzwerk direkt in Schweizer Privatbesitz. Die Rückkehr des wertvollen Stücks an seinen Entstehungsort wurde nun ermöglicht durch die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Freunde des Ulmer Museums e.V., die Sparkasse Ulm, die Stadt Ulm sowie einen anonymen Förderer. Das Ulmer Museum feierte den Meister bereits 2009 in einer Werkschau mit Leihgaben aus aller Welt. In ihrer eigenen Sammlung verwahrte das Museum bisher jedoch nur ein einziges Werk Mauchs. Mit der Erwerbung der kostbaren Verkündigungsdarstellung gesellt sich nun endlich ein zweites Meisterwerk hinzu.