Ikone des Grotesken

Selten erschien der Tod so menschlich wie in Max Klingers provokantem Gemälde „Pinkelnder Tod“ (um 1880): Der Tod ist bei einer recht irdischen Verrich­tung anzutreffen. Seit seinem Entstehungsjahr war das Bild in wechselndem Privat­besitz – jetzt ist es dem Museum der bildenden Künste in Leipzig mit Unter­stützung der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Stadt Leipzig, dem Freun­deskreis Max Klinger e.V. und den Förderern des Museums der bilden­den Künste Leipzig e.V. gelungen, das außergewöhnliche Gemälde zu erwer­ben. Die Ikone des Grotesken reiht sich nun in einen umfangreichen Werkkomplex Max Klingers ein, dessen Œuvre sich das Leipziger Museum seit Jahrzehnten widmet.

Anfang 20 war der Leipziger Klinger, als er seine Version des Knochenmannes auf die Leinwand bannte. Seit dem Mittelalter war der lebendige Tod als Bildsujet populär, die Totentänze des 15. Jahr­hunderts legen davon ein beredtes Zeugnis ab und begründeten eine fortwäh­rende Tradition. So blieb der rastlose Tod als Mahner der Sterblichkeit, als Memen­to mori bis in Klingers Zeit präsent, neu und unge­wöhnlich war allerdings dessen respekt­lose Zurschaustellung eines mensch­lichen Bedürfnisses – die von der breiten Öffentlichkeit auch über ein Jahrhundert später noch goutiert wurde: Das in der Sonderausstellung „Eine Liebe. Max Klinger und die Folgen“ von 2007 im Museum der bildenden Künste präsentierte Gemälde avancierte zum Publikums­liebling. Ähnlich war es dem Werk schon zu seiner Ent­stehungszeit ergangen: Klinger schenkte es seinem Studienfreund Christian Krohg, dem späteren Lehrer Edvard Munchs, der es in den Kreis der gesellschafts- und kulturkritischen Osloer Kristiania-Boheme um den Schriftstellers Hans Jæger einführte. Die norwegische Gruppe lehnte den Harmoniekonsens des Fin de siècle ab und Klingers Bild verlieh dieser Absage bildlich Ausdruck: Die starke Vertikalität des Gemäldes verengt die Landschaft auf den Tod als Mittelpunkt, dessen Erleichterung vergiftet das von den Menschen genutzte Gewässer.

Durch dieses Thema, ausgeführt in einer freien Malweise aus lockeren, ähnlich­farbigen Pinselstrichen, ersetzte Klinger die alten Formeln durch neue Zugänge zum Thema Tod: Er ist in Form und Farbe natürlicher Bestandteil der Landschaft – seine Haltung und sein Akt entlarven ihn jedoch als Groteske: Das Gemälde mar­kiert – nun für alle sichtbar – das Ende der Idylle.